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Contributors: Alexander Rabl (Text) +++ Stefan Fuhrer (Layout)+++
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Donnerstag, 1. August 2013

Über Grafen, Weinlöcher und Kuhmägen


Der Conte hieß mit vollem Namen Commito Luigi Manfredo Maria Negroni und ihn als wohlhabend zu bezeichnen wäre eine starke Untertreibung. Negroni wurde Mitte des 19. Jahrhunderts in Fiesole geboren, dem Vorort, den die reichen Florentiner während der Sommermonate der Hitze in der Stadt vorzogen. Er ging in die USA und brachte es dort als Pferdezüchter zu erklecklicher Wohlfahrt. Als er wieder nach Italien zurückkehrte, war der erste Weltkrieg noch neun Jahre entfernt und Negroni, nunmehr verheiratet, führte das Leben eines Angehörigen der Oberschicht. Man traf sich im noblem Bolgheri an der toskanischen Küste, man wohnte in den besten Hotels, besaß Stammplätze in den angesagten Bars.

Zu seinen Freunden zählten viele Künstler, darunter auch der Komponist Puccini. In Conte Negronis Ausweisdokumenten wurde über seinen beruflichen Status der Name notiert, den wir alle gerne für uns in Anspruch nehmen würden: Benestate, heißt soviel wie Privatier. Eine der Lieblingsbars des Grafen war damals das Café Casoni. Dort verkehrte er regelmäßig und trank einen seiner Lieblingsdrinks, den Americano aus einer Unze Campari Bitter, 1 Unze roten Wermut, aufgegossen mit Soda, garniert mit einer Scheibe Zitrone und Orange.

Das Casoni war in Florenz so etwas wie das Sacher für die Wiener. Der Bartender dort hörte auf den Namen Fosco Bruno Sabatino Corselli und es darf angenommen werden, dass er zu seinem Stammgast ein herzliches Verhältnis pflegte. Widmete Corselli dem Conte Negroni doch seine neue Cocktailkreation, der als einer der berühmtesten Drinks der Welt gilt und florentinische Lebenskultur im Glas ist.

Der Negroni besteht aus einer Unze Londion Dry Gin, 1 Unze Campari bitter und 1 Unze italienischem roten Wermut. Angeblich soll ein Freund um die Gesundheit des Conte besorgt gewesen sein und ihm geschrieben haben: „Du solltest bitte nicht mehr als 20 Negronis am Tag trinken.“ Fosco Scorselli war später Gründungsmitglied der Italian Bartender Association. Einer seiner Nachfolger im Geiste und im Handwerk ist Luca Picchi, der im Café Rivoire arbeitet, wo es Negronis und andere Stärkungen gibt, mit Blick auf den Palast, in dem früher die Machthaber von Florenz wohnten, auf den David von Michelangelo, der allerdings ein Fake ist, denn das Original gibt es in der Akademie zu bewundern, Tauben und andere Dinge hatten die Oberfläche des Wunderwerks zu stark strapaziert.

Luca Picchi ist ein Bartender der alten Schule. Er hat selbst einige Rezepte weiterentwickelt, zum Beispiel eine Variante des Negroni erfunden, die mit wesentlich mehr Zutaten auskommt als das Original, darunter Ginger Ale und Orangenlikör, was den Cocktail etwas süßer macht. Dem Conte hätte das wohl weniger gefallen, genauso wie der Umstand, dass es in wenigen Städten ein derartiges Nebeneinander zwischen absoluter Schönheit und Hässlichkeit gibt.

Für die Hässlichkeit sind die Touristen zuständig, deren Outfits man als Ausdruck der Verachtung der Schönheiten der Städte Italiens deuten könnte, welche sie bereisen. Ein starker Schluck vom doppelten Negroni. Es ist Mittagszeit, und alles wird besser, schöner. Man könnte schon den Tag mit einem Glas begonnen haben, doch das empfiehlt sich nicht einmal im hedonistischen Italien. Klüger und besser, man startet den Tag auf einem der Florentiner Märkte, zum Beispiel San Lorenzo. Das Frühstück im Hotel sollte nicht zu üppig ausgefallen sein, würde der Conte empfohlen haben, denn nach dem ersten Ristretto mit Blick auf die Stände mit dem muskulös-fetten Geflügel, Fischen und den wunderbarsten Gemüsen wird es richtig ernst.

„Lampredotto“ nennt sich der lokale Snack, der Name stammt daher, dass der gesottene Labmagen des Rindes im Aussehen an das Neunauge, eine im Arno vorkommende Art des Aales erinnert. Der Lampredotto, welcher besonders zart ist, wird in einer Suppe mit Paradeisern und vielen Kräutern gekocht. Man isst ihn in einem Weißbrotwecken, vielleicht mit etwas grüner Sauce. Pfeffer und Olivenöl. Das erste Bicchiere mit säurebetontem Sangiovese des Tages wäre hiermit gerechtfertigt, falls es dafür überhaupt eine Rechtfertigung braucht. In San Lorenzo ist die kulinarische Hochkultur von Florenz und der Toskana versammelt. Hier wundert es den Spaziergänger überhaupt nicht, wenn an einem Marktstand alle Jahrgänge von Gaja angeboten werden, die Supertuscans sowieso, daneben edle Taschenmesser. Und in der Vitrine jedes Fleischhauers trohnt das Trumm von T-Bone-Steak, welches vom Chianina-Rind kommt, dem T-Rex unter den Fleischrindern. Darüber später mehr.

Man probiert noch ein wenig von den Pecorinos unterschiedlicher Reife, trinkt Rosso di Montalcino aus dem Plastikbecher und dann ist es für die, die keinen Lampredotto haben, Zeit für eine spätvormittägliche Pizza. Einer der besten Pizzaläden der Stadt liegt gleich nebenan und hört auf den vielversprechenden Namen Rosso Pomodoro (Piazza del Mercato Centrale, 17, 50123 Firenze, Italien
Telefon:+39 055 211131). Die einfache und schmucklose Einrichtung des Lokals erinnert an das Mekka der Pizzafans, das Michele im Mafiaviertel in Neapel. Aus Neapel, wo sie die Pizza Margarita erfunden haben, kommt auch der junge Pizzaiolo. Er erzählt ein bisschen etwas, worauf es beim Pizzamachen ankomme, bevor der Besucher in eine Pizza beißt, wie es sie in unseren Breiten einfach nicht gibt. Viele Pizzaköche, so erfährt er vom Besitzer des Rosso, würden das Teiggemisch mit der Germ nicht lange genug gehen lassen. (Ideal: 24 bis 36 Stunden.) Der Magen des Pizzagastes reagiere darauf mit Völle, signalisiere Durst, was nicht erfreulich ist, wenn gerade keine Bar in der Nähe ist. Was eine gute Pizza neben Zeit auch braucht, war in diesem Magazin schon oft zu lesen, kann aber zum Zwecke der Aufklärung nicht oft genug wiederholt werden: Ein Holz-Ofen mit an die 450 Grad Hitze muss her. Nur wenige Minuten benötigt der mit Paradeiserpüree, Mozzarella und Basilikum veredelte Teigfladen, bis er im Ofen an den Rändern aufgeht wie ein Soufflé und Brandblasen wirft. Der Rand sollte beim Ausdünnen des Teigs auf einer bemehlten Marmorplatte auch nicht berührt worden sein, sonst bleibt er am Boden.

Es ist jetzt gegen elf und Florenz beginnt zu atmen. Kleine Läden sperren auf, aus ihnen duftet es nach Braten, nach Porchetta, nach dem Sud, in dem die Kutteln kochen. Touristenfallen unterscheidet der Spaziergänger oft erst auf den zweiten Blick von den wirklich guten Plätzen. Das Cibreo wäre zu erwähnen und immer zu besuchen. Von der Enoteca Pinchiorri hört man Horrorgeschichten, was die Rechnungen anbelangt.

Einer der neuen Stars unter den Küchenchefs ist Marco Stabile. Er besitzt ein kleines Restaurant in einer schmalen Gasse hinter den Uffizien. Das Ora d’Aria empfängt die Gäste mit einem Schild der „Jeunes Restaurateurs d’Europe“. Erstere sind somit darüber aufgeklärt, dass sie es mit einem der besseren Köche zu tun haben. Stabile ist ein Riesenteddybär von Mann, mit Bauch und Bart und von überaus freundlichem Wesen. Vollkommen frei von dekorativen Klischees ist sein Lokal, im Erdgeschoss eingerichtet wie ein modernes Bistro, während im Souterrain immerhin die Tische weiß gedeckt sind. Ein besonders witziger Tisch für zwei befindet sich weiter unten im Weinkeller, direkt neben den Weinregalen. Marco Stabile hat bei einigen Größen seiner Profession gearbeitet, unter anderem auch im wunderbaren Arnolfo bei Siena.

Er bietet den Mittagsgästen Tapa-Portionen zu an diesem Ort der Stadt fast konkurrenzlosen Preisen. Auch die besten Restaurants müssen in Italien zur Zeit um Gäste werben. Das Menü mit Fisch kostet 75 Euro, was ebenfalls viel ist. Eine Vorspeise aus sizilianischen Garnelen und einem Fisch aus dem thyrennischen Meer, der dem Thunfisch ähnelt, ist perfekt. Doch warum serviert die Küche danach banale Jakobsmuscheln, noch dazu mit Kaviar und einem Püree von Karotten? Immerhin fein dazu die Crumbles aus Zitrone. In einer Suppe mit Bohnen und Weißbrot, gelungenes Zitat der italienischen Cucina povera, schwimmen Mini-Tintenfische, von denen einige etwas zu lange an der Luft gestanden waren. Die Pasta mit Stockfisch hätte den Kaviar aus schwarzen Trüffeln sowas von nicht gebraucht. Molekularer Schmäh, blöder. Dann das beste Gericht des Menüs: Seeteufel-Bäckchen in schwarzer Hülle, die aus getrockneter Tintenfischsauce, Kohlpulver und Ähnlichem zubereitet wurde. Das schmeckt sehr, sehr gut und sogar die Frage, warum es dazu schon wieder Karottenpüree gibt, kann den ausgezeichneten Gesamteindruck nicht schmälern. Marco Stabile hat seit zwei Jahren den ersten Michelin-Stern. Bei diesem einen muss es nicht bleiben, wenn er sich entschließt, nie mehr solche Gerichte zu servieren wie einen zähen Oktopus mit Salsiccia. Liebenswürdig und kompetent kümmert sich der Sommelier um die Befüllung der Weingläser der Gäste. Nach dem Mittagessen ist etwas Ruhe am Pool willkommen, in Fiesole vielleicht, wo der Conte Negroni geboren wurde, und wo jetzt einige der schöneren und hemmungslos überteuerten Hotels Italiens stehen.

Zum Beispiel die Villa Salviatino, Ort des Rückzugs auf Niveau. Hier tankt der Gast vornehmer oder oligarchischer Herkunft Kraft fürs Abendprogramm. Er könnte dieses auf einer der schönsten Terrassen der Stadt eröffnen, jener des Hotels Excelsior, welche im sechsten Stock des Hauses liegt und den Blick frei gibt auf Arno, Kirchen, Kuppeln, Hügel und Sonne. Sie passt so gut zum Bellini, der mit venezianischer Delikatesse und Frische im Glas posiert. Man hebt das Glas auf das gegenüberliegende, ebenso exzellent geführte St. Regis, dessen Lobby zu den bevorzugten Aufenthaltsorten des Conte zählte. Er würde auch heute noch gerne in den bequemen Fauteuils sitzen, vielleicht sich ein Glas vom Hauschampagner (Pommery) genehmigen und wie selbstverständlich zur Kenntnis nehmen, mit welcher Liebenswürdigkeit und Qualität in dieser Bar mit dem Gast umgegangen wird. Darf es ein kleiner Appetizer sein? So fragt der livrierte Ober und serviert schon zwei perfekte Austern, Lachscanapés mit Kaviar, kleine Pizzen, Parmesan und Grissini mit Prosciutto. Auch wenn man keine gräfliche Erziehung genossen hat, weiß man, dass es sich jetzt nicht wirklich ziemt, eine Gier an den Tag zu legen, die verraten könnte, dass man nicht zu den Privilegierten zählt, die jeden Tag mit einem Drink in einer Bar von der Klasse des St. Regis beenden.

So verlässt der Gast die Bar des St. Regis mit gesegnetem Appetit und strebt dem ein paar Gassen weiter Richtung Stadtzentrum gelegenen Buca Lapi zu, welches im Souterrain des Stadtpalazzos der Familie Antinori Platz gefunden hat. Neben dem Eingang eine kleine Wandöffnung mit der Aufschrift „Vino“. Loch und Aufschrift erinnern an die lange vergangene Zeit, in welcher die Besitzer der vornehmen Stadtpalais Wein (und Olivenöl) von ihren Landsitzen nach Florenz brachten und dort verkauften. Die Familie Antinori, die gerade einen edlen Weinkeller im Chianti eröffnet hat, gehörte ohne Zweifel immer schon zu den reichen Patrizierfamilien.

Das Buca Lapi darf man dann übrigens durchaus als Touristenfalle bezeichnen, wenn auch seine Zielgruppe nicht die Rucksackträger sind. Wetten wir um zehn Negronis bei Luca Picchi, dass Sie nirgendwo in dieser Stadt eine bessere Bistecca Fiorentina auftreiben werden. Außen fast verkohlt vom Holzkohlengrill, innen gerade einmal warm und zart wie Butter.

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