Freitag, 1. Mai 2015

Wir stehen es nicht durch: Finger Food

Vor kurzem Gast in einem hervorragenden Etablissement. Vestibül, Burgtheater. Es war ein Zusammentreffen von guten und nützlichen Gesprächen - nützlich im Hinblick auf das geistige Fortkommen der Teilnehmer, vielleicht auch auf des einen oder der anderen Karriere - Kultur, Künstlern, gutem Wein und gutem Essen.

Die Küche arbeitete auf Hochtouren und auf dem hohen Niveau, für das sie regelmäßig ausgezeichnet und gelobt wird. Doch Karin Bergmann hatte auf Fingerfood bestanden. Kein gesetztes Essen, also auch kein Sitzen. Die Idee dahinter an sich gut: Die Gäste sollten miteinander interagieren.

Eine lobenswerte Initiative, die  nur dem Koch und seinem Gast nicht unbedingt gefallen muss.

Denn der Gast sagt: Essen mit Fingern ja, wenn es um zu schlürfende Austern, zu knackende Hummer oder Kaisergranat oder zu krachende Schinkensemmeln geht. Anspruchsvolles, mit dem Ehrgeiz zum Außergewöhnlichen errichtetes Essen mit den Händen oder einer winzigen Gabel zu sich zu nehmen, ist unzivilisiert. Lächerlich nachgerade.

Wer hat eigentlich das lächerliche Wort Fingerfood erfunden? Und wer hat es in den deutschen Sprachraum eingebürgert? Vermutlich war es ein Caterer. Fingerfood als Versprechen an sparsame Kunden. "Sie haben nur 20 Euro pro Gast? Kein Problem. Wir machen Fingerfood." Kein Problem.

Es gibt Spargel, perfekt gemacht. Aber wenn die Gäste den pünktlich gekochten Spargel mit dem winzig gehackten Ei verspeisen, befinden sie sich mitten im Smalltalk. Während des klugen scheinenden Sprechens einen Bissen zu sich zu nehmen und dabei drauf zu achten, dass die Marinade nicht auf die Hemdbrust träufelt - keine leichte Übung.

Es gibt auch zu Trinken. Die Natur hat dem Menschen aber nur zwei Hände gegeben. Also nicht drei, mit denen sie Glas, Gabel/Löffel und die kleine Tasse mit dem Essen halten könnten. Zwei Hände. Fingerfood ist wider die menschliche Natur.

Die Küche gibt sich keine Blößen. Es gibt Tatar mit Cracker. Die Brösel fallen den Damen ins Dekoletée. Während sich manche von ihnen ihre spitz zu laufenden High Heels bereits in den Kopf gestanden haben, denken die Herren an die Couch an die Zeit im Bild, die gerade läuft. Zeit im Bild 1 bitte schön.

So wird das nicht nichts, aber wenig. Essen im Stehen hält der Mensch nur bestimmte Zeit durch. Dann erlahmen die Muskeln der Beine und mit ihnen auch die Lust, weitere Tellerchen zu konsumieren. Das Blut fließt aus dem Hirn in die Oberschenkel, was sich ungünstig auf den Geistesgehalt des Smalltalks auswirkt.

Meistens gibt es zum Fingerfood noch schlechte Getränke, was das frühe Verlassen des Events nahelegt. Gibt es hingegen guten Wein oder sogar richtig guten Wein, bleibt der Gast länger. Trinken im Stehen steht er leichter durch als Essen im Stehen. Mit gutem Wein trinkt er sich das Stehen schön.

Manchmal kann Essen im Stehen, mit dem Finger statt Gabel und Messer wunderbar sein. In Kötschach Mauten beim Genussfestival des Edelgreisslers Ertl. Hier kleine dem stehenden Gast entgegenkommende Löffelchen auf denen sich mal Kaviar aus Venetien mit Essig von Josko Sick, dann wieder Lachstatar vom Bachmann findet, alles wunderbar, alles ohne Anspruch auf große Küche mit ihrem Miteinander von Aromen und Konsistenzen, das man nicht leicht in Löffelform packen kann.

Im vorigen Herbst in Paris. Im Palais du Tokio findet ein Zusammentreffen einiger der besten Köche Frankreichs statt, darunter Maure Collagreco oder Bras. Aber niemand aß, weder Michelin-Chef Michael Ellis noch die andern Gäste. Denn während des Gesprächs hoch sensible Gerichte zu sich zu nehmen, mit der Gabel zu fuchteln und dann den Wein nicht zu finden, ist nur weniger Leute Sache.

Die Gäste einiger der bersten Köche Frankreichs flohen in andere Lokale. Sie wollten lieber weniger gut, dafür auf ordentlichen Tellern mit ordentlichem Besteck und vor allem sitzend essen.

(ar)






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