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Contributors: Alexander Rabl (Text) +++ Stefan Fuhrer (Layout)+++
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Mittwoch, 17. Juni 2015

Über The Jane in Antwerpen

Leichter findet man sich im Urwald zurecht als bei den Methoden und Tricks, wie ein  hungriger Gast in den angesagten Restaurants der Welt einen Platz kriegen kann. Die normale Methode beispielsweise beim gerade besonders hippen "The Jane" von Sergio Herman in Antwerpen wie auch beim nicht minder gefragten "Noma" in Kopenhagen lautet ja, es übers Internet in einem bestimmten Slot zu versuchen, an dem die Plätze für die kommenden Monate gebucht werden können.

Unglücklicherweise sind diese Slots sehr klein und wie durch ein Wunder alle  Tische innerhalb von zehn Minuten ausgebucht. So wird es erzählt, ich selbst verlasse mich auf eine andere Methode.

Mit dem Buschmesser kommt man nämlich mitunter schneller ans Ziel. Das Buschmesser besteht nicht aus Stahl, sondern aus Freundschaften, Glück und Gelassenheit. Freundschaften können helfen, denn da das Restaurantgeschäft nicht von Computern, sondern vornehmlich von menschlichen Wesen bestritten wird, kennt der eine jemanden, der jemanden kennt und schon bist du auf der Warteliste vorne gereiht.

Das kann klappen oder auch nicht, was die beiden anderen Komponenten Glück und Gelassenheit ins Spiel bringt. Letztere ist besonders gut für den Blutdruck und dabei geht es oft um wichtigere Dinge als ein Mittagessen in einem angesagten Restaurant.

Muss man überhaupt in angesagte Restaurants? Reichen nicht auch Kutteln im Bistro oder Beisl ums Eck? Wer sich für Essen und die aktuellen Entwicklungen dabei interessiert, kommt an angesagten Restaurants nicht vorbei, es sei denn er bezieht sein Wissen aus  den Geschichten anderer oder es ist ihm oder ihr einfach egal.

Wenn sich der Dschungelkämpfer nun an die Bar, den famosen "Upper Room" des "The Jane" durchgeschlagen hat und kein Urwald mehr den Blick auf die neue Kathedrale der Foodies verstellt (übrigens diesmal mit einer ganz banalen und normalen Online-Buchung, drei Personen auf meinen Namen), wird er sich die Frage stellen: Hat sich die Mühe ausgezahlt? Ist das "Upper Room" des "The Jane" ein Ort, an dem man außer gut essen auch etwas über gastronomische Entwicklungen lernen kann? Vor allem aber: Wird es schmecken?

Diese Fragen können und müssen jedenfalls mit "Ja" beantwortet werden. Schon die Auswahl der Location, einer Kathedrale-artigen, aufgelassenen Kirche in einem außerhalb des Stadtzentrums gelegenen, nennen wir es immobilienmäßigen Entwicklungsgebiet, ist eine deutliche Ansage: Wer ein gutes Lokal führt, muss sich nicht um die Lage bemühen, um auf Monate ausgebucht zu sein. Und wie gut Sergio Hermans neues Projekt seit einem Jahr gebucht ist.

Schon das "Out Sluis" war ein Beispiel an Verknappung, aber was "The Jane" angeht, weiß mittlerweile jeder Concierge in Antwerpen, dass es eigentlich unmöglich ist, dort einen Platz zu kriegen.

Auch mittags keine Chance und wir lernen wieder etwas: Das Essen hier ist gar nicht so teuer. Dafür darf man sich allerdings auch keine Show erwarten wie in Hermans altem 3-Sterne-Restaurant, dass er Ende 2013 geschlossen hat, weil er dem Zirkus nichts mehr abgewinnen konnte. Ein Phänomen, dass sich übrigens an immer mehr Orten feststellen lässt. Immer mehr Chefs haben die Nase voll vom Druck eines 3-Sterne-Betriebs und ich vermute, dass es bald in Europa nur noch wenige Plätze geben wird wie ein "L'Hôtel de Ville" in Crissier am Genfer See, wo in einer reichen Umgebung eine große Mannschaft täglich die große kulinarische Oper gibt. Und geben kann.

"The Jane" ist vor allem aber ein mustergültig gelungenes Beispiel für ein Restaurant, dass buchstäblich alle Sinne anspricht. Natürlich ist das Setting atemberaubend. Inmitten der alten Kirche, die fast vollständig ausgeräumt wurde, ein riesenhafter Luster, dessen Arme wie die gestreckten Arme einer Krake in den Raum blicken.

Die Upperbar, perfekt eingebettet in die Umgebung, am Chor der Kirche. Dort kann man den Köchen bei der Arbeit zusehen, es herrscht rege Kommunikation zwischen Service, Küche und Gästen, die sich mit kleinen und größeren Happen stärken und eine ausgeklügelte Getränkebegleitung dazu genießen.

Dass das Licht auch am Tag einmalig ist, mag bei der Erwähnung des Wortes "Kirchenfenster" niemanden mehr verwundern. Musik, ein vielerorts unterschätztes Thema, kommt hier in Gestalt eines schwer definierbaren Sounds, einer Mischung aus dunklen Chören, Elektro, Beats und Bass, vollkommen unaufdringlich, die Ambiance perfekt fürs Ohr aufbereitet.

Im "The Jane" isst man vor allem nach dem Motto "Casual" und man isst auf hohem, bisweilen sehr hohem Niveau. Viele Teller erinnern kaum mehr an das alte "Out Sluis", manche sind so, dass sie damals vielleicht als Bestandteil oder Side-Dish aufgetaucht wären, aber nie als einzelner Gang. Zuwenig Aufwand und Ehrgeiz dahinter. Herman hat damals angekündigt, dass ihm der Aufwand zu viel geworden sei.

Der Gast im "The Jane" verspürt diese Einschränkung nicht als solche, vielmehr freut er sich an der gewonnenen Klarheit, die jeden Teller eignet, welcher übrigens - da kann der Gast beruhigt sein - aus einer ausreichenden Vielzahl an Komponenten besteht, die sich alle auf ausgeklügelte, perfekt exekutierte und harmonische Weise miteinander vermengen.

Das Essen startet mit einer Reihe von Snacks, welche die Ess- und Streetfoodkultur vieler Kontinente zitieren. Geflügelleber mit Nougat ist da und man taucht knusprige (Rosmarin?-) Toastschnitten hinein und sagt "Gott, ist das gut" oder so etwas.

Es gibt herrlichen Schinken aus Spanien, auf knusprigen Broten, die mit Tomaten bestrichen wurden - so gibt es das auch in Barcelona. Sie haben Salami, die in Amsterdam gemacht wird. Es gibt dann auch noch Bun Bao mit Schweinebauch. Eine herrliche Sache.

Dann startet die Küche mit einem Sashimi eines Fisches, dessen Namen ich mir nicht notiert habe, es war jedenfalls weder Thunfisch noch Makrele. Der Fisch wird mit einem Gefrorenen aus Yuzu und mit vielen Blüten serviert und ist jedenfalls Bissen für Bissen ein Vergnügen.

Danach kommt Spargel, richtig weich gekocht und danach kurz gegrillt, dazu roher grüner Spargel. Auf dem Teller noch perfekter, geräucherter Aal auf einem knusprig fettem Brioche sowie ein dunkelgrün schimmerndes Öl aus Kräutern. Dann wird der Teller aufgegossen mit einer cremeartigen Suppe aus Karfiol und Erdäpfeln. Ein weiterer Klecks Grün deutet an, dass wir es hier mit einer Version des Klassikers "Aal in Grün" zu tun haben.

Vom Norden geht es dann ganz kulinarisch weltmännisch in den Süden: Buratta sitzt auf einem genial abgeschmeckten Ragout aus Paradeisern aller Größen, aus Oliven, Crouton-mäßig zubereiteter Chiabatta, unter dem sich einige Scheiben vom butterzarten Polypo finden.

Superteller, keine Frage, aber da geht noch mehr: Ein Gemüsecurry nach einem Rezept von den Malediven hier, rote Linsen da, sowie Joghurt auf grünem Öl (das Öl vom Aal-Gang - ich kann es nicht genau sagen). Dieser Gang steht fast ein wenig über den anderen, so leicht und aromatisch, so unkompliziert und komplex in seinen Aromen ist er. Und wir lernen, dass der vollkommene Verzicht auf Eiweiß und Luxuszutaten keine Einbußen mit sich bringen muss.

Dann ein Klassiker: Taube, einmal die Brust, dann das Haxerl, beides handwerklich hochgradig perfekt, aber kein Gericht, dass eine Geschichte erzählt. Spaß macht es allerdings, zur Taube das kleine Gemisch aus verschiedenen Bohnen zu löffeln, welches in der ausgehöhlten Schale einer Bohne serviert wird. Spaß macht auch das komplette Verputzen der Krallen der Taubenhaxe. Ich nehme From Nose to Tail ernst, diesfalls ist es From Nose to Nail.

Das Dessert, ein frisches Ding aus Schokolade und Cassis, könnte auch in Paris bei LaDurée stehen. Patisserie, abgespeckt. Aber eigentlich trotzdem sehr gut. Was ein Essen im "The Jane" so einmalig macht, ist auch das Trinken.

Es beginnt mit dem Hauschampagner Champagner in retro-artigen Schalen und ich bin gespannt, wie lange wir warten werden, bis die Flöten in den Restaurants wieder ins Archiv wandern und es auch dort wieder Champagner in Schalen gibt, die vor dreißig Jahren mit höhnendem Gelächter verbannt wurden.

Der phantastische Maitre serviert dann mal Vermouth aus dem Piemont, später gleich Sake, bevor es zwischendurch einmal Wein gibt (ein Roter aus dem Piemont), später gibt es Bier, dann noch einmal Wein (Ein Roter aus Spanien) und schließlich wieder Vermouth. Langweilig ist das nicht und vor allem kann niemand behaupten, dass mit einer Getränkebegleitung wie dieser nicht der Nagel auf den Kopf getroffen wäre.

"The Jane" ist kein Restaurant für hungrige Dschungelkämpfer oder Paleo-Fans, sondern vielmehr ein Ort des lässigen Defilées urbaner Eleganz. Anzug und Krawatte haben bei den männliche Gästen längst ausgedient, was zum Konzept gehört und die Reinigungsfirmen einiges an Umsatz kosten wird. Sergio Herman und seine Mitstreiter haben etwas Einmaliges geschaffen und gerade deswegen hoffe ich, dass nicht alle Lokale in Europa in den kommenden Jahren so aussehen und auftreten werden.

(ar)

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