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Contributors: Alexander Rabl (Text) +++ Stefan Fuhrer (Layout)+++
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Samstag, 17. September 2011

Kein Telefon, kein Internet, aber Kutteln

Nizzareisende raunen sich den Namen mit begeistert verschwörerischer Miene zu, als wäre es der Eintrittscode zur Kunstsammlung in der Cote d'Azur-Villa von Abramovich (Hat er eine? Vermutlich, aber er weiß es nicht). La Merenda. Das Lokal ist kleiner als der Pass in den Küchen der Sterneköche an der blauen Küste, aber größer als ein Suppenlöffel. Winzige Tische. Die Gäste nehmen auf Hockern Platz. Wer reservieren will, muss höchstpersönlich vorbeischauen, was schwierig ist, wenn man dafür aus Wien anreisen müsste oder gar aus Moskau. Postkarten werden aber auch akzeptiert. Es liegt nicht daran, dass es in Nizza und Umgebung zu wenig gute Adressen gäbe, dass sich Eingeweihte hier so zahlreich zur Kulthandlung einfinden. Dominique Le Stanc heißt der Mann am Herd. Die grauen Haare zum Zopf zusammengebunden, steht der drahtige Koch jeden Tag in seiner winzigen Küche, in der jeder Zentimeter kenntnisreich genutzt wird. Seine Frau, die immer noch schön ist und vor zwanzig Jahren besonders schön gewesen sein muss, hilft ein bißchen mit. Das ist es. Le Stanc war selber einmal 2-Sterne-Koch in Monaco, dann machte ihm der Zirkus keinen Spaß mehr. Wie andere Stars an der Cote d'Azur zog er die Selbstbestimmung dem Michelinruhm vor und sperrte das eigene Lokal in der Nähe des Nizzaer Blumenmarktes auf, das seither ausgebucht ist. Ich habe Glück und bekomme einen der kleinen Tische. Es gibt Beignets, also frittierte Zucchiniblüten, eine Pizza als Vorspeise oder Schinken aus lokaler Produktion. Ich esse einen Salat aus Feigen, Oliven, Rucola und Frischkäse. Der Salat, weil es heiß ist in Nizza. Der Ober wundert sich vielleicht über meinen Durst, was mir egal sein muss, und schenkt das zweite Glas Roséwein ein. Im Sommer trinken sie überall Rosé an der Küste, manchmal auch gleich mit Eiswürfel, und keiner findet was daran. Denn bevor das Eis zu schmelzen beginnt, ist das Glas auch schon wieder ausgetrunken. Wegen des Salats bin ich aber nicht hier. Die Nachbarin hat die letzte Portion vom gekochten Kalbskopf mit Sauce Gribiche. Das verschafft mir einen kurzen Moment der Verstörung. Kutteln gibt es noch. Also Kutteln bestellt. Tripes à la nicoise. Sie kommen fast schmucklos in einem aromatischen Saft. Keine Tomaten, keine Oliven, keine Bohnen, nur etwas Parmesan im letzten Augenblick darüber gerieben. Dazu das köstliche Pain-Nice. Die Klimaanlage surrt. Kein Kuttelkrümel geht an die Küche zurück, denn diese spielen in der K-Oberliga mit, also im Dreieck aus Lyon, Florenz und dem Loibnerhof in Dürnstein. Jetzt kriege ich noch eine grobe Mousse vom weißen Pfirsich mit Himbeeren - Escoffier schaut herunter und freut sich. Am Nebentisch hat sich eine Gruppe Schweden niedergelassen und bestellt die Schiefertafel rauf und runter. Es wird laut werden diesen Nachmittag. (ar)

La Merenda, 4 rue raoul bosio (ex rue de la terrasse), 06000 Nice

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