- - -
Contributors: Alexander Rabl (Text) +++ Stefan Fuhrer (Layout)+++
- - -

Sonntag, 18. September 2011

Der E-Effekt

Warum lässt der Taubenkobel in Schützen regelmäßig viele Toplokale, auch die allerbesten, in Österreich ein bißchen alt aussehen? Es ist wohl wie in der Schule. Die einen tragen brav ihre hochgerüsteten Schultaschen, während die anderen lässig mit Rucksäcken oder Tragetaschen daherschlapfen. Letztere haben beim Flirten mit den Kameradinnen bessere Chancen. Kann man nichts machen. Walter und Eveline Eselböck waren nie die mit den Schultaschen und kleiden ihren Taubenkobel wie auch den Rest ihres kleinen, feinen Imperiums im Burgenland immer in den Farbtönen aus, die gerade international angesagt sind. Sie reisen viel und suchen sich mit treffsicherem Geschmack das aus, was längeren Bestand hat, vor allem aber zu ihrer Welt passt. Damit haben sie als Avantgarde-Gastronomen seit Jahrzehnten Erfolg. Unbestritten. Im vergangenen Frühjahr gab es einen kleinen Betriebsunfall, einen Supergau. Walter und Familie hatten es vor lauter Begeisterung übertrieben und dann kam Severin Corti und holte den Pracker heraus. Kein entspannter Frühling für ein Klasse-Restaurant. Walter Eselböck selbst war sicher auch schon mal relaxter, aber konsequent. Er hat jetzt nicht die Absicht, die Anregungen, die man auf Reisen halt so mitkriegt, nicht in seinem Lokal zu zitieren und warum sollte er das auch. Zum Beispiel der Trend, die Tische nicht mehr mit Tischtüchern zu decken. Eine Sache, die mit zum Charakter des Noma gehört, aber auch in der deutschen Überfahrt zu sehen ist und im Salzburger Ikarus. Im Taubenkobel-Garten saß ich jetzt auch auf wunderschönen Tischen, die mit nichts anderem als einer groben, aufgetürmten Leinenserviette dekoriert sind, unter der sich Holzteller und Messer befanden. Habe ich weniger Vergnügen an dieser kontra punktierten  Schlichtheit, bloß weil ich weiß, dass es das woanders auch schon gibt? Walter Eselböck teilt sich die Küche mit Alain Weißgerber. Beide sind Hochklasseköche, wenn auch so unterschiedlich in der Herangehensweise, wie Köche nur sein können. Der eine aus dem Kopf, der andere aus dem Bauch. Gemeinsam nicht einsam, sondern beträchtlich super. Immer noch hält man an der Idee fest, dem Gast keine fixe Speisenfolge, sondern ein der Saison und dem Einfall verpflichtetes Menü anzubieten. Wenn das auch vielleicht Show ist, so ist es eine  tolle Idee in einer bemerkenswert hochstehennden Umsetzung. Was bleibt in Erinnerung? Ein Amuse aus Seewinkler Wassermelone, eine Gänseleber (Bio, keine Stopfleber) als Terrine mit Feigen und einer cremeartigen Kreation aus Mais, geräucherter Aal mit einer Aromenbombe aus Paprika. Danach: Eine Miniature aus Ochsenschlepp, Erdäpfelpüree, Erdäpfelzipf, Ochsenmark und Sailbings-Kaviar. Wir lassen kein Molekül übrig und erfinden somit die Molekularküche 2011. Das war alles sehr gut. Richtig arg wird es aber mit den verschiedenen Stekovic-Paradeisern, unter denen knackig gegarte Gut-Dornau-Flußkrebse begraben sind. Ob ich in diesem Sommer ein besseres Paradeier-Gericht gegessen habe, die Frage neige ich eher mit Nein zu beantworten. (Genauso gut nur Thomas Dorfers Paradeiser mit Langustinos und ein Salat im Club 55 in Ramatuelle.) Können die Mannschaft um Alain das noch toppen? Nach der Papierform unmöglich. Dann kommt aber das Lamm am Fettrand gebraten, mit einem fettfreien, genialen Jus, einer gebackenen Miniatur-Zucchiniblüte, die eine Scrotum-artige Rundung  aufweist, frittierten Mini-Zucchini und wieder einem kleinen Aromenungeheuer aus Paradeiser. Das Lamm wird andächtig angeschnitten und verspeist. Langweile ich Sie, wenn ich sage, dass das alles super war? Gut. Ich streife den Käsegang (Spinatblätter von einem Urahn aus der Arche Noah und ein Schaf aus dem  Vorarlbergischen) und das Dessert (futuristische Rote-Rüben-Beeren-Kombi) mit Komplimenten. Kommen wir auf die Frage zurück, die wir zum Eingang gestellt haben. Eselböcks Restaurant hat immer noch den  Todschick-Faktor, ist aber mit den flachen It-Restaurants in Wien nicht zu vergleichen. Sechs Seiten für das Burgund (weiß) in der Weinkarte. Hier nimmt eine Familie ihr Geschäft mehr als ernst. (ar)



2 Kommentare:

  1. bin begeistert. und sehr hungrig (auf das oben beschriebene) geworden! super geschrieben, man sieht ihr habt es sehr genossen.

    AntwortenLöschen
  2. okay, die überlegung, wieder mal hinzufahren (nach der aufregung mit dem pracker von kollege corti), nimmt konkrete formen an bzw. ich mir einen kalender zur hand. die noma-zitate stören mich nicht (das dessert geht wohl auch in diese richtung), solange die speisen in der pannonischen umgebung und mit den dort erhältlichen produkten sinn ergeben.

    AntwortenLöschen