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Contributors: Alexander Rabl (Text) +++ Stefan Fuhrer (Layout)+++
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Montag, 1. Oktober 2012

Diversos Gutes

Alexander Mayer ist einer der wenigen Chefs, die am Mainstream vollkommen vorbeikochen. Was die im Norden gerade machen oder welche gelierten Verrenkungen das Feinschmecker-Menü des Monats anzubieten hat, interessiert ihn recht wenig. Dafür hat er sich ein paar Signature dishes geschaffen, gar nicht wenig, in Anbetracht dessen, dass er während der letzten Jahre auch einige Zeit nicht am Herd verbrachte, ständig auf der Suche nach den Wahren und Guten in der Wiener Gastronomie. Für seine asiatisch inspirierten Brühen und Fonds, sein Beef, den Backfisch mit g'schmackig grob strukturierter Remoulade und seine butterzart geschmorten Backerl reisen ihm die Gäste bis auf den Mars nach, wenn es sein muss. Müssen sie gottlob aber nicht. Alexander Mayer hat gerade wieder einen Platz gefunden, es ist ein kleines Lokal auf der Wieden, gegenüber einem gerade frisch herausgeputzten Hotel, dessen Besitzer Mayer diese Spielwiese angerichtet hat. Wir hoffen, es wird was. Das Restaurant heißt Diverso, aber man hält sich mit dem Lesen des Namensschildes eh nicht lange auf. Viel interessanter die Speisenkarte. Doch genau diese könnte Alexander Mayer zum Problem werden, gerade in den kommenden Monaten, wenn die Kritiker vor Freude Purzelbäume schlagen und das Lokal jeden Abend voll ist. (Mittags gibt es ein preisgünstiges Menü.) Die Situation: Außer ihm und seinem Souschef nur ein Abwäscher in der Küche, volles Lokal, die Wiener Gäste bestellen durcheinander, weil sie es nicht anders gelernt haben. Desolé, wenn ich wieder einmal Frankreich zitiere. Dort heißt es ab vier Personen ein Menü für alle. Die Küche erreicht sonst den Schmelzpunkt. Besser ist es ohnehin, sich von Alexander Mayer gerade das anrichten zu lassen, was er fürs beste hält. Wir haben es hier nämlich mit einer Autorenküche reinster Sorte zu tun. Mit einem Koch, für den das Wort Kompromiss ungefähr die Attraktivität von Inzersdorfer Fleischschmalz hat. Wenn Amuse Bouche, sagt er sich, dann gleich wie dieses: ein Gelée aus Meerwasser und Zitrone, totale Erfrischung, darin eine Auster gebadet. Löffeln, löffel, zustimmend nicken. Nächstens: Vitello tonato, bezwingend frisch der Fisch, darüber eine salzige Bottarga, gerade aus Sardinien eingetroffen. Die Creme auf einer Unterlage aus Mehl von gemahlenen Oliven. Krabbenfleisch mit eingelegten Rüben, getupft mit Krustentiermayonnaise. Mayer reicht dazu eine Kaltschale aus Broccoli mit gefrostetem und geriebenem. rohen Broccoli. Ja, er hat sich während einiger Monate der Besinnung ein paar neue Techniken angeschaut. Wenn ein Koch, der die Klassiker so im kleinen Finger hat, sich ein neues Verfahren zum Nachdenken gibt, sind wir gespannt. Der Entenmarsch, den Mayer uns in verkürzter Form aufspielt, wunderbar. So kochen sie jetzt im Perigord und im Elsass. Immer nur Frankreich? Österreich! Mayer macht Reisfleisch. Er brät einen Schweinebauch vom Schwarzschein und das Schulterscherzl, das er von seinem Lieblingsfleischhauer, dem Höllerschmid, bezogen hat. Eine Wahnsinnigkeit. Wir müssen runterkommen. Etwas von der herrlichen Schokoladentarte aus der privaten Fabrikation von Alexanders Freundin Nathalie wäre jetzt gut, ist aber schon aus. Auf der Weinkarte findet sich einiges Trinkbares. Hier stand, wie man vermuten muss, ein guter Berater im Hintergrund, einer, der so trinkt, wie Alexander Mayer kocht.

(ar)

www.diverso.at

1 Kommentar:

  1. Ist natürlich unglaublich, was hier beschrieben wird. Schweinebauch vom Schwarzschwein. Der Höllerschmied. Eine in der Möglichkeitsform verhaftete und daher um so vollkommenere Schokoladentarte.

    Ich denke, dass in einem derartigen Kontext der Name „Diverso“ ganz bewusst gewählt wurde: Als entschiedene Dissonanz zu all der sinnenprallen Schönheit, die den Gast sonst ganz unrelativiert einlullen würde. Ein irritierender Kontrapunkt, gesetzt von einem gütigen Autor.

    Er will uns wohl sagen: „Sieh her, die Welt, in all ihrer Schönheit ist doch auch voller Makel und beherbergt nicht nur Schätze wie den o. g. Schweinebauch, sondern bietet auch reichlich Platz für das Hässliche, das Entgegengerichtete. – Den Unstern, der den Namen „Diverso“ trägt. Schmeckt dir mit diesem Wissen der Schweinebauch nicht gleich noch viel besser, lieber Gast?“

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