Es wartet eine Arbeit, die
sich nicht nur in Österreich sehr wenige Haubenköche antun. Max Stiegl trägt robuste Stiefel und einen ausgewaschenen Pullover. Mit dabei hat
er seinen neuen Küchencommis aus dem Gut Purbach. Ebenfalls im alten Sweater
und einer Army-Hose, die er kaum mehr trägt, weil sie „eh zu eng ist“. Für den Commis
ist es das erste Mal, für Max Stiegl hingegen Routine. Es ist der Morgen, an dem die Ziegenkitze abgestochen
werden.
Mit dem Messer ist Stiegl längst ein Routinier. Zuhause in
Purbach am Neusiedlersee hat er Lämmer Kaninchen,
Ziegen. Immer wieder sticht Stiegl eines
davon ab, für den Lokalgebrauch. Lammleber, Lammhirn oder auch Kaninchennieren
haben das Lokal im Besitz des Wiener Wirtschaftsanwalts Hans Bichler, der in
Purbach auch Wein macht, über die Grenzen berühmt gemacht.
„In der Nacht waren die Ziegen schon unruhig,“ erzählt die Ziegenbäuerin. Das
Zielein wird ungefähr zehn Kilo schwer sein und ist größer als ich dachte. Es
ist ein Männchen. Das Kitz schweigt nicht auf dem Weg zur Einfahrt, wo der
Bauer einen kleinen Traktor
aufgestellt hat, mit einer Schaufel, aus der Zinken von einem halben Meter
Länge ragen. Gleich werde ich wissen, wofür er gebraucht wird.
Max Stiegl drückt das Zicklein zu Boden. Er kniet dabei so
über dem Tier, dass ein Teil des Tieres unter ihm zu liegen kommt, und es sich
nicht bewegen kann. Ein rascher Schnitt. Das „Mäh“ des jungen Ziegenbocks wird
leiser. Ich frage Stiegl, warum er das nicht mir einem Schlachtschussgerät
erledigt. „Könnte man. Aber dann wäre das Hirn weg.“ Das Hirn des Kitzes zählt
zu den Delikatessen für den Koch, der wirklich alles, was ein Tier hergibt,
verwenden will. Getreu dem Vorsatz „From Nose to tail“, den der englische
Küchenchef Fergus Henderson prägte, der in seinem Londoner „St.John“ alle Teile
von Rind, Lamm und Schwein anbietet. Und damit berühmter geworden ist als alle
englischen Sterne-Köche zusammen.
Jetzt hieven Max Stiegl und sein Küchengehilfe das Tier hoch,
und hängen es an den Hinterbeinen an die Zinken der Schaufel. Wieder ein
Schnitt, diesmal nicht an der Halsschlagader, sondern sauber geführt von oben
nach unten. Nicht länger als eine halbe Minute braucht Max Stiegl, um mit
Messer und Händen das Tier komplett auszunehmen. Zuerst kommen Magen und Darm,
die in einem dafür bereitgestellten quadratischen Eimer landen. Es riecht jetzt
auf einmal nicht mehr nach Schnee.
Ich habe auf Frühstück und Morgenkaffee verzichtet und warte
gespannt auf einen Schwall von Übelkeit.
Die Ziegenbäuerin meint, dass sie das Abstechen der Tiere am liebsten Herrn Stiegl überlasse, denn der kenne sich am besten aus. Es wäre dann am schnellsten vorbei. Die Bäuerin liebt ihre Ziegen.
Die Ziegenbäuerin meint, dass sie das Abstechen der Tiere am liebsten Herrn Stiegl überlasse, denn der kenne sich am besten aus. Es wäre dann am schnellsten vorbei. Die Bäuerin liebt ihre Ziegen.
Der Bauer ist inzwischen verschwunden. „Wenn wir abstechen, hat er immer auf einmal viel zu tun,“
erklärt die Bäuerin. „Er kann es nicht anschauen.“ Viel Zeit zum Reden hat sie
nicht. Zehn Kitze sind vorgesehen. Heran gezerrt an den Hörnern oder an einem Halsband. Die Kitze
schreien. Es ist ihnen nicht gleichgültig.
„Da siehst du, was ein Leben wert ist,“ meint Stiegl
lakonisch zwischen zwei Tieren. Er wollte wohl sagen: was ein Kitzbraten wert
ist. Der nächste Schnitt. Diesmal wehrt sich das Kitz besonders kräftig. Es
rudert mit den Hinterbeinen. „Die hat uns die ganze Zeit Probleme gemacht,“ erzählt die Bäuerin. „Sie wollte sich nicht in die Herde eingliedern.“ Vielleicht litt die
junge Ziege auch darunter, dass sie ein Er war. Unter der Haut ertastet Stiegl
die Hoden. „Es gibt wahnsinnig viele Zwitter.“ Das Tier ist fast zu schwer, um es
auf die Zinken zu heben.
Ein Blick auf Hosen und Pullover von Max Stiegl und seinem Helfer und ich bin froh, dass ich nicht als Arbeitskraft eingeplant war. Die Kleidung der beiden ist voll von Blut.
Unter den Ziegen im Hof herrscht zunehmend Nervosität. Das
Schreien und Jammern ist jetzt ein wenig lauter geworden. Es fällt den Ziegen
auf, dass eine nach der anderen freundlich, aber bestimmt aus
ihrem Biotop abgeführt wird. Ich weiß nicht, ob die paar
Minuten, in denen die Tiere merken, dass sich gleich etwas für sie ändern
wird, reichen, um das zarte Fleisch mit den Stresshormonen zu durchfluten, die
Köche und Feinschmecker fürchten. Doch ich weiß, dass man es immer schon so
gemacht hat, in der Zeit vor den großen Schlachthöfen und den
Lebendtiertransporten.
Max Stiegl hat das Herz von Zicklein Nummer Sechs in der
Hand. Es dampft in der Kälte und der Duft, der kurz in der Luft liegt, ist unvergleichlich.
„Wenn ich das Herz jetzt salze, schlägt es noch Minuten lang weiter.“ In
kleinen, weißen Plastikgeschirren werden Herz, Nieren, Hoden und Leber getrennt
aufbewahrt. Max Stiegls Helfer macht jetzt einen noch blasseren Eindruck als zu
Beginn der Abstech-Session. Doch er hält sich tapfer. Ich brauche ein Glas
Wasser.
Winterlich harte Erde mischt sich mit dem Blut der Ziegen zu
einem rot-braunen Gatsch. „Doch es gibt keine hygienischere Methode einer
Schlachtung als auf der Wiese oder der Erde,“ erklärt Max Stiegl. Die Bäuerin ist
auf der Suche nach dem letzten Kandidaten. „Ich kenne sie alle beim Namen.“
Schon lange vor dem Abstechen verdienen sich die Ziegen Essen und Logis. Mit Ziegenmilch,
aus der Ziegenjoghurt und Käse gemacht werden, welche alle am Hof und auf einem lokalen Markt angeboten werden.
Ich habe nicht auf die Uhr geschaut. Doch ich schätze, dass
Max Stiegl und sein Helfer nicht viel länger als eine Stunde gebraucht haben,
um zehn Kitzerl abzustechen, perfekt auszunehmen und nebeneinander in Plastikbehältern aufzulegen. Sechs Tiere bekommt Stiegl für die Osterzeit und danach. Vier behält die Bäuerin. Das Kilo wird um 10 Euro an Freunde und Verwandte weiterverkauft.
Zeit für die Fütterung der Ziegen. Mit einem Plastikeimer,
der mit Milch gefüllt ist, werden die jungen Ziegen versorgt. Für die Älteren
gibt es Heu. Kein Kraftfutter, keine Chemie. Ein großer Ziegenbock mit Respekt gebietenden Hörnern und Bart tritt ins Freie und schaut um sich. Wo sind
die Kleinen? Kein Weinen, kein Klagen.
Man wendet sich dem Heu zu. Max Stiegls Helfer wird am kommenden Mittag dem
Dienst in der Küche fernbleiben. Entschuldigt.
Einen Tag darauf kriege ich im Gut Purbach eine Scheibe vom
Herz serviert. Knackig und frisch, dazu ein erdennaher
Cabernet-Sauvignon Merlot 2007 von Feiler Artinger. Doch ja, man kann dieses
Fleisch genießen, obwohl man bei der Tötung des Tieres anwesend war. Ich
esse das kleine, rosa gebratene Herzstück mit einem neuen, starken Gefühl. Respekt.
(ar)
Really enjoy this blog, thanks.
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