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Contributors: Alexander Rabl (Text) +++ Stefan Fuhrer (Layout)+++
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Donnerstag, 5. August 2010

Essen aus dem Kofferraum, aber richtig.




Die Franzosen sind es ausgerechnet, die einen neuen Stilbruch begehen. Im Sommer trifft man sie auf den Wiesen und Parkplätzen neben den Straßen, auf denen sich Wohnwägen und PKWs dem Süden entgegenstauen. Oder auch dem Westen, zum Beispiel der Bretagne. Und was machen sie?
Blättern sie im Michelin oder im GaultMillau auf der Suche nach der nächsten lohenden Adresse für das Dejeuner? Nein, das tun sie nicht. Stattdessen machen sie den Kofferraum auf und nehmen ihre Mahlzeit aus dem Kofferraum ein. Eine nicht enden wollende Reihe von französischen Kofferraumessern in der Mittagssonne ist noch nicht der Untergang des Abendlandes, aber ein Grund sich Gedanken zu machen. Der mobile Mensch hat ja heute keine Zeit mehr, sich mit den Ritualen des Restaurantbesuchs auseinanderzusetzen, so scheint es. Zehn Minuten lange eine Speisenkarte studieren, drei Gänge, auf Kaffee und Rechnung warten? Kostet locker eine halbe Stunde zwischen dem Kauen und Schlürfen, die doch sinnvoller verwendet werden kann. Deshalb essen die Franzosen jetzt aus dem Kofferraum. Doch hier besteht eindeutig Verbesserungsbedarf. Ich denke an eine perfekte französische Hochleistungsküche im Kofferraum des Renaults oder Citroens, die beim Aufmachen des Kofferraums aufklappt und ihre Instrumente preisgibt. Das Backrohr kann man während der Fahrt vom Amaturenbrett des Autos in Betrieb nehmen. Nach zwanzig Minuten Vorglühen ist es schön heiß. Also rein mit der vorbereiteten Quiche oder dem Gigot d'Agneau. Nach einer weiteren halben Stunde bis Stunde, während man wertvolle Meter in Richtung Zielort zurücklegt, ist das Mittagessen gar. Neben der Küche gibt es im Kofferraum auch einen kleinen, Geschirrschrank, wo man Omas Porzellan verstaut und jetzt nach guter zivilisierter Manier sich zu Tisch begeben kann, der jetzt auf Knopfdruck ausgefahren wird. Was gibt es zu trinken? Gut gekühlten Weißwein, dank Klimaanlage, die auf erfrischende 11 Grad gestellt ist. Dass die Kleinen deswegen mit einer kräftigen Angina im Urlaub ankommen werden, muss in Kauf genommen werden. Für Lebensqualität muss man eben Opfer bringen. Die Quiche ist wunderbar, das Gigot kräftigt und nachdem sich auch die im Kofferraum angebrachte Kaffeemaschine noch nützlich machen konnte, kann es weitertgehen. Doch halt! Wohin mit den Tellern und Pfannen und Messern und Gabeln. Omas Porzellan einfach im Abfalleimer am Parkplatz entsorgen geht wohl nicht wirklich. Doch hier erweist sich der Kofferraumgeschirrspüler als sinnvolle Einrichtung. Er bietet gerade Platz für die benutzte Hardware nach einer Mahlzeit aus dem Kofferraum. Der Geschirrspüler wird mit dem heißen Wasser betrieben, dass aus der Motorkühlung kommt. Ein perfekter Regelkreis, wie wir Ingenieure sagen. Ich denke, wenn sich das Essen aus dem Kofferraum durchgesetzt hat, wird es als interessanter Wachstumsimpuls nicht nur für die Küchenindustrie gelten. Bald schon wird es nicht nur Garagenweine, sondern auch Kofferraumweine geben. Es wird einen Führer durch die besten und schönsten Kofferräume des Landes geben. Ducasse wird ein handliches Kompendium für die Kofferraumküche zwischen Honfleur und Menton herausgeben. Und das schönste: es gibt keine Staus mehr auf den Schnellstraßen, weil alle Franzosen damit beschäftigt sind, sich sechsgängige Menüs aus ihren Kofferräumen zuzubereiten. Endlich freie Fahrt von Paris nach Marseille. Doch die Freude ist gefolgt von Enttäuschung, wenn man zur Kenntnis nehmen muss, dass alle besuchenswerten Restaurants entlang der Route in den Süden längst wegen Konkurs durch Gästemangel geschlossen wurden. (ar)

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